Sender Zitrone

Schwarzsender „Zitrone” aus der Dachkammer, 1955
Schwarzsender „Zitrone” aus der Dachkammer, 1955

Mit dem „Sender Zitrone“ begann das Radio-Schaffen von Hermann Hoffmann. Schon Anfang der 1950er Jahre versuchte er, beim Rundfunk zu landen, damals beim NWDR in Hamburg. Die ersten Versuche waren allerdings erfolglos, so dass sein Tatendrang ihn dazu verleitete, mit einem selbstgebauten Sender, einem Tonbandgerät und anderer einfacher Studio-Ausstattung in der Dachkammer über der „Königin-Bar” in Celle einen Schwarzsender zu etablieren. Er wollte seinen Hörern ein Programm präsentieren, dass seiner Meinung nach eher ihrem Geschmack entsprach als das öffentlich-rechtliche Radio. Der Sender war selbst gebaut und der Name schnell gefunden: der Tarnname „Zitrone“ jener Funkstation, auf der er während des Krieges bei Wilhelmshaven als Flakhelfer und Funker Dienst schob. Die Reichweite seines Senders betrug nur wenige Kilometer und hatte nur ein paar Hundert Zuhörer, meist die Gäste der Bar auf ihrem nächtlichen Weg nach Hause.

Das bunte Treiben wurde zu Hermanns Verwunderung allerdings nicht so schnell beendet wie vermutet, obwohl er seine Telefonnummer für Anrufe bekanntgab. Erst nach neun Monaten beschlagnahmte man seinen Schwarzsender. Der Funkmessdienst der Deutschen Bundespost hat sich ziemlich lange davon überzeugt, dass Hermann Hoffmann nichts Unanständiges über den Sender schickte – der Sender wurde schließlich geortet und stillgelegt. Der Richter hat ihn schweren Herzens zu einer Geldstrafe von 300 DM verurteilt.

Mit der Produktion „Eine kleine Dachkammermusik“ startete Hermann Hoffmanns Ende 1962 beim Westdeutschen Rundfunk in Köln sein legales Radioprogramm. Erst elf Jahre später, ab Januar 1974, gab es alle 14 Tage im Nachtprogramm auf NDR/WDR 1 „Reprisen“ in 45 Minuten Länge zu hören: „Kabarettistische Evergreens, montiert von Hermann Hoffmann“. Schon während der Eröffnungsmusik der Sendung (zumeist ein Volksmusik- oder Schlagertitel) konnte man den Eindruck gewinnen, dass sich hier ein Schwarzsender unter lautem Rauschen ins „normale” Programm einschleicht. Und das Programm seiner Sendungen gestaltete Hoffmann so unterhaltsam wie die seines „richtigen” Schwarzsenders – bis vielleicht auf die fehlenden Durchsagen damals an Freunde und Bekannte („Ananas soll kommen!”, „Banane auch!”).

Es folgte eine bunte Mischung aus Witzen, Musik nach seinem Geschmack, erfundenen Nachrichten vom „Drahtlosen Dienst“ und zwischendurch immer wieder Anrufen von fiktiven Hörern. Die männlichen Anrufer hat er natürlich alle selbst gesprochen, Kinder übernahm sein Sohn Thomas und die Damen sprach Renate Hoffmann, also eine richtige Familienproduktion. Zeitweise gab es auch Rubriken wie „Schlager wörtlich“, ähnlich dem „Shit-In“ aus der Anfangszeit der Shitparade und den „Geräuschservice für den Schmalfilmamateur“, beispielsweise mit dem Geräusch einer Kuckucksuhr, die seit elf Tagen nicht mehr aufgezogen wurde. Das besondere an seinen Gästen war, dass sie per Tonband-Mitschnitt ins Studio „eingeladen” waren und ihnen mit der Hoffmannschen Ton-Tricktechnik so manches Wort im Munde herumgedreht wurde.

Spektakulär war etwa die Folge, als Karl-Eduard von Schnitzler (seines Zeichens ein scharf­macherischer Kommentator beim DDR-Fernsehen, u. a. mit der Sendung „Der schwarze Kanal”) zu Gast im Sender Zitrone war – und genau das Gegenteil von ihm zu hören war, was er sonst so von sich gab! Ein Unterschied zwischen Original und „Fälschung” war dabei nicht zu erkennen, man konnte für bare Münze nehmen, was dort aus dem Radiolautsprecher kam. Aber auch der Chef des Herrn von Schnitzler, der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker, Politiker aller Coleur wie Franz-Josef Strauß von der CSU, Helmut Schmidt von der SPD, der Fernsehschaffende wie der Moderator Robert Lembke oder der Nachrichtensprecher Karl-Heinz Köpcke – sie alle durften im „Sender Zitrone” Nonsens erzählen, stottern oder sogar „singen”. Die „Gesänge” seiner Gäste wurden sogar später zusammengefasst auf einer CD („Bonn-Songs”) herausgegeben.

Wolfgang Masur und Babette Renoux

Weiterhin etablierte sich im „Sender Zitrone“ der Gesangsunterricht von Wolfgang Masur. Seine Lebensgefährtin Babette Renoux mimte seine Schülerin. Er knödelte, was das Zeug hielt und sie trällerte schrill dazu. Als Running Gag brachte Babette mit ihrer kreischenden Stimme zum Abschluss jeder Unterrichtsstunde eine Fensterscheibe zum Bersten. Der entnervte Schlusssatz vom Masur oder Hoffmann: „Hol’n sie ’n Glaser“.

Ankündigung einer „Zitrone”-Sendung aus der HörZu
HörZu, 16.12.1978

Der „Sender Zitrone“ wechselte insgesamt drei Mal den Sendeplatz bzw. die Sende­dauer: nach 17 Folgen stiegen die „Reprisen“ in das Nach­mittags­programm am Dienstag auf, aber ab jetzt nur noch alle vier Wochen und zunächst 30 Minuten lang. 1975 änderte sich die Programm­ankündigung in „Hier Sender Zitrone“. Ab Juli 1976 bekam der „Sender Zitrone“ die doppelte Sende­zeit. Mit dem Wechsel des Sende­platzes auf 21:15 Uhr und jetzt 45 Minuten Länge kam zwei Jahre später auch die Einführung der Stereo­phonie. Im Zuge einer Programm­reform zum Jahres­wechsel 1980/81 endete das Gemein­schafts­programm NDR/WDR 1. Der „Sender Zitrone“ wechselte auf 15 Minuten verkürzt in die „Unter­haltung am Wochen­ende“, jetzt wöchentlich auf WDR 2, und lief alle 14 Tage abwechselnd mit der „Kleinen Dachkammermusik“. Im Frühjahr 1982 wurde diese Sende­reihe nach 130 Folgen eingestellt.